Wann wird der Konsum von Social Media schädlich?

Nichts ist Gift und alles ist Gift erkannte Parcelsus. Es ist also meist eine Frage der Menge. Das scheint auch für den Konsum von Social-Media zu gelten. Allerdings ist die Sache – wie so oft – nicht ganz einfach und muss differenziert und letztlich individuell angeschaut werden. Es hat allerdings gute Gründe, weshalb die Sozialen Medien inzwischen in der Politik ein Thema sind.  

Vor einiger Zeit habe ich hier einen Blog gepostet zum Thema Internetkonsum. Zwar ging es dabei auch um Kinder und die Folgen von Internetkonsum für sie. Ich werde immer wieder angefragt, ob ich etwas zu den Sozialen Medien diesbezüglich schreiben könnte, wie weit dessen Konsum schädlich sei und was ich denn empfehlen würde. Wirklich gute Antworten auf diese Frage kann ich nicht versprechen, aber ich ging der Sache nach. Je tiefer ich in die Thematik eintauchte, umso komplexer wurde die Sache. Schliesslich habe ich versucht, die wichtigsten Punkte aus einschlägigen Forschungsarbeiten zusammenzufassen. Am Ende des Blogs sind dann noch weiterführende Links und Quellen zu finden.

Doch schauen wir uns nun die wichtigen Punkte im einzelnen an. Was ist es denn, was die Sozialen Medien oft problematisch erscheinen lässt?

Vergleich mit Anderen

Durch Social Media sind wir immerzu mit den Leben anderer Menschen konfrontiert. Dies kann zu einem ständigen Vergleich führen, bei dem man sich mit anderen misst. Dieser Vergleichsdruck kann zu einem geringen Selbstwertgefühl und negativen Emotionen wie Eifersucht und Frustration führen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten Menschen sich auf Facebook im besten Licht präsentieren und sozusagen das eigene Leben zu einem Hochglanzprospekt hochstilisieren. Die Menschen wirken dann immerzu fröhlich, unbeschwert und erfolgreich. Ein Vergleich mit der jeweiligen Lebensrealität zeigte, dass das Dargestellte in den meisten Fällen blosse Fassade ist - die aber für bare Münze genommen wird. Und genau dann, wenn es einem nicht so gut geht und man auf diese Fassade blickt, kann dies besagte schlechte Gefühle auslösen.

Gerade Jugendliche tun sich oft schwer damit, Fassade von Wirklichkeit zu unterscheiden. Aber auch wir Erwachsenen können uns dabei ertappen, andere zu beneiden. Es ist also wichtig zu sehen, dass die Menschen auf den entsprechenden Plattformen genau das von sich zeigen, was sie zeigen wollen - und dabei oft genug Theater spielen.

Angst davor, etwas zu verpassen oder nicht dabei zu sein

Social Media kann das Gefühl verstärken, dass wir etwas verpassen, wenn wir nicht ständig online sind. Dies kann zu einer entsprechenden ständigen Angst führen (Fear of Missing Out), was zu Stress und Unruhe führen kann. So kann dies speziell bei Jugendlichen oft zum quälenden Gefühl führen, dass andere interessante und aufregende Dinge erleben, wobei man selbst nicht dabei sein kann. Letztlich führt auch dies dazu, dass man sich ständig mit anderen vergleicht. Ein Stück weit ist dies ein normales, menschliches Gefühl. Beim ständigen Vergleichen auf Plattformen kann es jedoch zu grossem Stress mit damit einhergehenden Symptomen führen (beispielsweise Schlafstörungen, erhöhte Impulsivität etc.).

Cybermobbing

Dieses Phänomen ist leider sehr bekannt geworden und vermutlich recht weit verbreitet - man geht hier von einer gewissen Dunkelziffer aus, es ist jedoch sehr schwierig, genauere Zahlen zu erhalten.

Social Media bietet eine oft niederschwellige Plattform für Mobbing und Belästigung. Menschen können anonym negative Kommentare abgeben oder Bilder und Informationen verbreiten, die anderen schaden können. Cybermobbing kann zu psychischen Problemen wie Angstzuständen, Depressionen und einem geringen Selbstwertgefühl führen oder im Extremfall zu Suizid. Nicht zu verwechseln ist Cybermobbing mit einem sogenannten "Shitstorm" (dieser kann sich auch gegen Firmen und Organisationen richten). Hierbei wird - je nach dem - von einem gewissen Selbstverschulden ausgegangen. Bei Cybermobbing hingegen muss klar von Opfer und Täterinnen und Tätern gesprochen werden.

Oft sprechen Betroffene aus Scham nicht darüber, wenn sie Opfer von Cybermobbing geworden sind. Lehrkräfte, Freundinnen und Freunde und nahe Angehörige wie Eltern oder Geschwister merken oft, dass etwas nicht stimmt. Es ist sehr wichtig, dann das Gespräch mit den Betroffenen zu suchen.

Filterblasen und Echokammern

Social Media-Algorithmen zeigen uns oft nur Inhalte, die unseren Interessen und Ansichten entsprechen. Wie können die Algorithmen das wissen? Die Plattformen messen beispielsweise genau, wie lange wir was betrachten, wonach wir suchen und somit, was uns interessiert (es gibt noch mehr Faktoren). Entsprechend werden die Antworten aufbereitet und präsentiert. Dadurch werden wir in unseren eigenen Meinungen bestätigt und haben weniger Kontakt zu unterschiedlichen Perspektiven. Dies kann zu einer Verzerrung der Realität führen und uns daran hindern, verschiedene Standpunkte zu verstehen und zu akzeptieren. Im realen sozialen Leben kann dies zu Konflikten führen; lieber schliesst man sich mit Gleichgesinnten aus der der selben Filterblase zusammen, statt sich mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen.

Filterblasen sind nichts neues, das gab es schon immer. Menschen neigen dazu, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun. Schwierig wird es, wenn die in der Filterblase definierte Realität als allgemeingültig angenommen wird. Gerade die Sozialen Medien verstärken dieses menschliche Bedürfnis nach Gleichgesinnten. Im Extremfall können sich in Filterblasen Verschwörungstheorien mit den damit einhergehenden Freund-Feind-Bildern entwickeln und eine entsprechende Gruppendynamik auslösen.

Weshalb übrigens machen das Plattformen wie Facebook etc.? Es geht ihnen nicht primär darum, solche Dynamiken zu fördern, das scheint eher eine Nebenwirkung zu sein. Den Plattformen geht es darum, die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange online zu halten, denn so können sie höhere Einnahmen beispielsweise aus der Werbung generieren.

Entwickeln von Suchtverhalten

Social Media kann süchtig machen. Die ständige Verfügbarkeit von Informationen und die Möglichkeit, ständig mit anderen zu interagieren, kann zu einem zwanghaften Verhalten führen, bei dem wir immer wieder unsere Social-Media-Profile überprüfen und nach Bestätigung suchen. Dies kann zu Vernachlässigung anderer Aktivitäten und Beziehungen führen und negative Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit haben. Das Suchtverhalten entwickelt sich oft schleichend - nicht selten bemerken es Aussenstehende als solches. Ein guter Massstab für Suchtverhalten ist, wie gut man ohne den Blick auf den Bildschirm leben kann, vielleicht sogar einmal eine Woche auf den Besuch der einschlägigen Plattformen verzichtet und beobachtet, wie es einem dabei ergeht.

Ich habe hier nun einige Punkte aufgelistet. Möglicherweise ist die Aufzählung nicht vollständig, mit Sicherheit gibt es noch viel mehr dazu zu sagen. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, wie Social Media unsere Psyche beeinflussen kann, und gesunde Gewohnheiten im Umgang damit zu entwickeln. Dazu gehört zum Beispiel, bewusste Pausen einzulegen, sich auf positive Inhalte zu konzentrieren und sich nicht ständig mit anderen zu vergleichen.

Letztlich sind wir eigenständige, selbständig denkende Wesen. Allerdings, und das weiss man inzwischen aus der Hirnforschung, suchen wir gerne Abkürzungen und Vereinfachungen. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass genau hierauf die Geschäftsmodelle der Sozialen Medien beruhen - und überhaupt der Suchmaschinen. Die Algorithmen sind verführerisch, da sie uns die Denkarbeit abnehmen wollen. ChatGPT und andere openKI-Modelle verstärken diese Tendenz.

Quellen und weiterführend Literatur

"Brain view - warum Kunden kaufen"; Häusel, Hans-Georg; der Verhaltenspsychologe analysiert das Kaufverhalten und verknüpft es mit der modernen Hirnforschung - von ihm stammt das Zitat "Unser Hirn ist eine faule Sau"

"Digitaler Burnout: Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist"; Markowetz, Alexander; der Autor untersucht laufend im Rahmen einer gross angelegten Forschungsarbeit das Surf-Verhalten und dessen psychologische Auswirkungen

"Die Smartphone-Epidemie: Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft" von Manfred Spitzer - Der Autor untersucht in diesem Buch die Auswirkungen der Smartphone-Nutzung, einschließlich sozialer Medien, auf unsere Gesundheit, Bildung und Gesellschaft

"Die große Gereiztheit: Wege aus der kollektiven Erregung" von Christian Stöcker  - Christian Stöcker analysiert in diesem Buch die Auswirkungen von sozialen Medien auf die öffentliche Debatte und den gesellschaftlichen Diskurs

"Digitale Depression: Wie neue Medien unser Glücksempfinden verändern" von Martin Wehrle - Der Autor beschäftigt sich in diesem Buch mit den Auswirkungen von sozialen Medien auf unsere psychische Gesundheit und unser Glücksempfinden

"Die Lüge der digitalen Bildung: Warum unsere Kinder das Lernen verlernen" von Gerald Lembke - Gerald Lembke kritisiert in diesem Buch die Auswirkungen von sozialen Medien auf die Bildung und das Lernen von Kindern und Jugendlichen

"Die Facebook-Falle: Wie das soziale Netzwerk unser Leben verkauft" von Katharina Nocun und Pia Lamberty - Die Autorinnen beleuchten in diesem Buch die Geschäftspraktiken von Facebook und die Auswirkungen auf unsere Privatsphäre und persönlichen Daten

Alle Blogbeiträge anzeigen